Direkt zum Inhalt
News

Her mit dem Circular Economy Booster!

Nachhaltige Wirtschaftspolitik Klimaschutz Kreislaufwirtschaft

Ein Beitrag von BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter im Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021

Derzeit blockiert das lineare Wirtschaftssystem kohlenstoffarme zirkuläre Innovationen. Tausende Unternehmen in Europa setzen trotzdem schon heute auf kreislauffähige Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse – sie müssen allerdings auf unfairen Märkten agieren. Umso erfreulicher, dass die Kreislaufwirtschaft im European Green Deal ein wesentlicher Bestandteil ist, um Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und die Dekarbonisierung zu erreichen. Im Rahmen des Green Deal bekommt die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Leitmärkte für klimaneutrale und kreislauffähige Produkte sollen entwickelt werden – der Circular Economy Action Plan der EU1 soll den politischen Rahmen schaffen. Dass dies bitter nötig ist, zeigt u.a. der in Davos vorgestellte Bericht „The Circularity Gap report 2020“. Der Anteil der in die Kreislaufwirtschaft zurückgeführten Materialien liegt bei nur 8,6 Prozent. Die Industrie ist mit Blick auf Klimaneutralität 2050 nur noch ein bis zwei Investitionszyklen entfernt – hier müssen jetzt Investitionen in kohlenstoffarme und zirkuläre Produktionsprozesse getätigt werden. Bisher werden in der Logik von „Take – Make – Use – Lose“ große Mengen Abfall produziert, dessen Entsorgung zunehmend Probleme bereitet. Eine intelligente Kreislaufwirtschaft schließt Müll und Schadstoffbelastungen aus, hält Produkte und Materialien möglichst lange in Nutzung und trägt zur Regenerierung der natürlichen Systeme bei.

Eine Studie der Ellen MacArthur Foundation aus dem Jahr 2019 belegt, dass durch konsequent umgesetzte Kreislaufwirtschaft etwa 45 Prozent der menschengemachten CO2-Emmissionen vermieden werden können2 . „Vermeiden, verringern, verwerten“ – was einfach klingt, erfordert häufig ein enormes Umdenken, einen kompletten Systemwechsel. Die zunehmende Digitalisierung und stetige Weiterentwicklung der Informationstechnologie schafft Innovationen, um Materialien effektiv zu verfolgen (Stichwort: Materialbanken), was die Weiternutzung erleichtert. Auch die Erwartungen von Konsument*innen an Produkte und Dienstleistungen verändern sich. Nicht nur die FridaysForFuture-Bewegung hat für ein stärkeres Umweltbewusstsein gesorgt. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat wiederholt ermittelt, dass Verbraucher*innen zunehmend Umweltaspekte in ihre Kaufentscheidung aufnehmen. Plastik und Klima werden als größte Bedrohungen genannt – und zwar europaweit. Für mehr und mehr Menschen wird der Zugang zu Produkten wichtiger als der Besitz von Dingen („as a service“-Ansatz, Sharing).

Kreislaufwirtschaft ist mehr als Recycling

Dr. Henning Wilts (Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut) betrachtet die Kreislaufwirtschaft vor allem aus der Perspektive der Ressourceneffizienz. Recycling sei kein Selbstzweck und für sich allein genommen kein zufriedenstellendes Ziel, solange dadurch keine echte Entlastung der Umwelt geleistet würde. Der größte Entlastungseffekt kann durch geschlossene Stoffkreisläufe erzielt werden. Kreislaufwirtschaft erfordert dabei neue Formen der Kooperation zwischen Abfallwirtschaft und Industrie, Politik und Konsument*innen. Es dürfe für Unternehmen allerdings kein höheres Risiko sein, in die Kreislaufwirtschaft zu investieren als in die lineare. Für Dr. Wilts sind wichtige Umsetzungshebel für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland:

  • Kreislauffähige Produkte
  • Erhöhung des Rezyklateinsatzes
  • Nutzungsdauerverlängerung / Mehrweg
  • Bündelung der Stoffströme und Informationsflüsse
  • Reallabore

Viele Mitgliedsunternehmen des BNWs setzen zum Beispiel als Cradle to Cradle-zertifizierte Unternehmen zirkuläre Produktionsprozesse um – sie schaffen Innovationen zur Vermeidung von Plastik, entwickeln Unverpackt-Ansätze oder sind Pioniere in der Verwendung von Post Consumer-Rezyklaten. Arthur ten Wolde (Excecutive Director Ecopreneur.eu, Mitglied der European Circular Economy Stakeholder Plattform) vertritt die nachhaltige Wirtschaft in Brüssel: „Wir brauchen Nachhaltigkeit als Kriterium für die Vergabe des EU-Haushalts und der staatlichen Beihilfen sowie die Unterstützung des Privatsektors.“ Gemeinsam mit der Green Recovery Alliance wurde erreicht, dass die nachhaltige Komponente des EU-Konjunkturprogramms deutlich gesteigert wurde: Insgesamt 37 Prozent des Milliarden-Budgets werden nach nachhaltigen Kriterien und zur Bekämpfung des Klimawandels verteilt und investiert.

Plastikkrise

Der Kunststoffverbrauch steigt dramatisch. Allein in Deutschland hat sich seit 1994 der Verbrauch fast verdoppelt, wir verbrauchen 6 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr. Die Europäische Kommission hat das Ziel formuliert, dass ab 2030 alle Plastikverpackungen wiederverwertbar sein sollen. Aber der Weg dorthin ist völlig unklar. Die Industrie pocht auf Freiwilligkeit, dabei sehen wir schon zu lange dabei zu, dass keine ernsthaften Anstrengungen unternommen werden. „Die fehlende Verbindlichkeit des Verpackungssystems sei beängstigend“, sagt das Wuppertal Institut dazu. Die Plastikkrise hat längst die Wirtschaft erreicht. Ob kritische Nachfragen von Kund*innen oder Forderungen von politischer Seite – Unternehmen müssen heute das Thema Verpackung ganz anders unter die Lupe nehmen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der EU-Kommission im Circular Economy Action Plan setzt den Rahmen: Mehr Recycling (auch von Altplastik aus dem Post Consumer-Bereich) ist eines der maßgeblichen Konzepte, um den Ressourceneinsatz zu verringern und den Wert der Materialien möglichst lange im Kreislauf zu erhalten.

Eine der größten Hürden für ein hochwertiges Recycling stellen Bestandteile in Plastik-Rezepturen dar, die im Aufbereitungsprozess die Qualität des Produkts mindern. Daher muss das sogenannte „Design for Recycling“ fester Bestandteil gesetzlicher Regelungen werden. Dem liegt der Cradle to Cradle-Gedanke zugrunde, wonach Abfälle in einem steten (hochwertigen) Kreislauf gehalten und dann zu neuen Produkten werden. Mit qualitativ hochwertigen Rezyklaten setzt sich Florian Hüter (cirplus) auseinander. Er benennt zwei Hauptprobleme beim Plastikrecycling: Es gibt keinen wirtschaftlichen Anreiz. Und es ist nur wenig hochwertiges Material verfügbar. Ein weiteres Problem ist, dass heute der Begriff Rezyklat uneinheitlich verwendet wird, es bleibt oftmals unklar, ob es sich tatsächlich um Wertstoffe nach der Gebrauchsphase handelt oder nur um Produktionsabfälle. Nötig ist daher auch eine juristische Definition des Begriffs „Rezyklat“, damit es nicht zu Greenwashing kommt und umweltpolitische Zielsetzungen konterkariert werden. Dort, wo sich Märkte für hochwertige Anwendungen von Rezyklaten noch nicht etabliert haben, sind spürbare Anreize sinnvoll. Derzeit liegen die Preise der Rohwaren in der Regel unter denen für Rezyklate. Kontraproduktive Subventionen müssen beendet werden, wie etwa die Befreiung der Plastikherstellung in Deutschland von der EEG-Umlage.

Kreislaufwirtschaftsaktionsplan

Künftige Maßnahmenpakete werden diese Bereiche adressieren3 :

  • Verstärkter Einsatz von Rezyklaten, EU-weite Rezyklat-Einsatzquoten für bestimmte Produkte, Beschränkung des Exports von Plastikabfällen in Drittstaaten
  • Verbraucher-Recht auf Reparatur für wichtige Elektro- und IT-Geräte
  • Langlebigkeit von Produkten verbessern (Ökodesign-Kriterien für stabileres und umweltfreundlicheres Geräte-Design)
  • verstärkter Einsatz von Pfandsystemen
  • Investitionen in hochwertige Sortier- und Recyclinganlagen in Europa
  • Deponierung von unbehandelten Siedlungsabfällen in der EU beenden (mehrere Staaten wie Deutschland haben bereits seit einigen Jahren ein Deponieverbot

Ökonomische Anreize

Was braucht es noch, damit der Circular Economy Booster seine volle Wirkung entfalten kann? Es braucht ein europaweit harmonisiertes System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) mit Eco-Fee-Modulierung der Gebühren in allen abfallintensiven Sektoren. Mit einer umweltfreundlichen und zirkulären Beschaffungspolitik (Green Public Procurement), die immer auch einen Zugang für kleine und mittelständische Unternehmen sicherstellt, gehen öffentliche Institutionen mit gutem Beispiel voran. Die öffentliche Hand ist der größte Nachfrager in Deutschland. Jede Regelung, die einen sicheren Rechtsrahmen für die öffentliche Beschaffung bietet, nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen zu präferieren, reizt den Markt für zirkuläre Produkte an. Mit Blick auf den Mittelstand muss Green Public Procurement aber auch sicherstellen, dass die (Einstiegs-)Hürden für kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups nicht zu hoch sind. Oftmals wird bei öffentlichen Ausschreibungen verlangt, dass bereits langjährige Erfahrung nachgewiesen werden muss oder Jahresumsätze gefordert werden, die nur große Unternehmen nachweisen können. Der Staat mit seinen Gebietskörperschaften muss künftig Nachhaltigkeitsaspekte bei seiner Vergabepolitik in den Vordergrund stellen. Die Berücksichtigung der sogenannten „vergabefremden Aspekte” scheitert in der Realität an mangelnder Qualifikation und Motivation der Vergabestellen. Hier sind verbindliche Schulungsprogramme und Vergabequoten, auch für Länder, Kommunen und öffentliche Unternehmen, die sich an den Klimaschutzzielen orientieren, denkbar. Klimaschädliche Subventionen sind abzuschaffen – sie konterkarieren die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft. Die Einführung einer obligatorischen gate-to-gate Life Cycle Analysis (LCA) für alle Unternehmen sollte geprüft werden.

Wenn Investmententscheidungen zunehmend von Nachhaltigkeitskriterien und längerfristigen Investmentzielen bestimmt werden, eröffnet auch das viele Chancen für die europäische Wirtschaft und für die europäische Finanzbranche. Die benötigten Summen für den Umbau der europäischen Wirtschaft können nicht alleine von der EU oder den Mitgliedstaaten aufgebracht werden. Die EU geht nur für die Umsetzung der EU-Klimaziele von einem jährlichen Finanzierungsbedarf in Höhe 180 Milliarden Euro aus. Dazu müssen Finanzströme umgeleitet werden: raus aus nicht nachhaltigen Wirtschaftszweigen und hin zu resilienten, zirkulären Produktionsweisen. So wird die notwendige sozial-ökologische Transformation durch den Finanzmarkt unterstützt. Große private Geldmengen (von institutionellen Anlegern wie Versicherungen, Pensionskassen oder Stiftungen) werden für die Umsetzung der SDGs und der Pariser Klimaziele bereitgestellt. Durch das gemeinsame Voranschreiten von nachhaltiger Realwirtschaft und nachhaltiger Finanzwirtschaft hat die EU die Chance, Standards zu setzen als Beispiel für andere Wirtschafts- und Finanzräume.

Zirkulär und krisenfest

Dass der Wiedereinsatz von Rohstoffen Ressourcen einspart und dabei das Klima schont, ist durch eine Vielzahl von Studien belegt. Bezogen auf die Herstellung von Plastik erfolgt dies in doppelter Hinsicht: Zum einen werden Grundstoffe eingespart (Rohöl) und zum anderen erfordert das Recycling weniger Energie als die Herstellung von Neuware. Die positiven Einspareffekte durch eine hochwertige Circular Economy können wesentlich dazu beitragen, die Ziele des Pariser Klimavertrages zu erfüllen. Des Weiteren verringert Kreislaufwirtschaft die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von der Rohstoffversorgung aus anderen Ländern. Schließlich schafft die hochwertige Aufbereitung von Sekundärrohstoffen Wertschöpfung, Innovation und damit nachhaltige Arbeitsplätze. Mit dem Blick in die Zukunft, leistet der Circular Economy Booster einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigeren und damit krisenresilienteren Wirtschaftsstrukturen.  

1 European Commission (2020): Circular Economy Action Plan – For a cleaner and more competitive Europe, S. 38 (zuletzt abgerufen am 02.12.20 über https://ec.europa.eu/environment/circular-economy/pdf/new_circular_economy_action_plan.pdf)

2 Ellen MacArthur Foundation (2019): Completing the Picture: How the Circular Economy Tackles Climate Change, https://www.ellenmacarthurfoundation.org/our-work/activities/climate-change

3 https://www.bmu.de/pressemitteilung/eu-umweltrat-fuer-eu-weites-recht-auf-reparaturund-laengere-haltbarkeit-von-produkten

Zuerst erschienen in

Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021, ISBN 978-3-96186-051-7, gebunden, 280 Seiten, 29,95 Euro, metropolitan Verlag, März 2021 Sie finden das Jahrbuch Nachhaltigkeit hier: Nachhaltigkeit - Wissen » Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021 (inkl. Bestellmöglichkeit)